Unser Grafiker ist äußerlich ein lässiger, innerlich aber penibel aufgeräumter Typ. Ich erinnere mich noch an unsere erste Begegnung vor vielen Jahren. Er – bibliophil, klar – reichte mir ein Buch, irgendeine Sonderauflage oder sonst etwas Rares.
Die unvergeßlichen Begleitworte aus seinem Mund: „Aber paß bitte auf!“ Also: nicht reinhusten, ‑niesen, nicht sonstwie besudeln oder mal in den Dreck fallenlassen.
Jetzt hat dieser Grafiker also Joachim Fernaus Roman Die jungen Männer (DER SPIEGEL anno 1960: „im rechten Maße ernst und witzig, konventionell und gedankenvoll“) gestaltet. Das Buch läuft wie „geschnitten Brot“ bei uns seit zwei Wochen.
Nur, so sieht es auch aus: Wie neben der Brotlade liegengelassen. Mehrere (Fett-? Butter-?) Flecken zieren höchst absichtsvoll den Buchumschlag.
Herr Grafiker, was soll das? Und Herr Verleger, das finden Sie wohl „cool“? Dann will ich nie mehr Spott und Hohn hören über vorkonfektionierte Risse und Löcher in Jeans etc.!
(Bin gespannt, ob es Leser gibt, die Die jungen Männer zurückschicken mit der Bitte um ein ordentliches Exemplar.)
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18. 12. 17 – Jaja, wir kennen die breitgestreute Semantik von „rechts“ (=richtig etc.) und „links“ (= linkisch etc.). Es gibt ja Beispiele zuhauf: jemanden linken, Rechtsprechen undsoweiter.
Meine ganzheimlichrechte Berliner Freundin, die um all dies auch weiß, ist dennoch froherstaunt, als sie das Töchterlein aus dem Kindergarten abholt und dort eine Weihnachts-CD hört, auf der Rolf Zuckowski mit warm-anheimelnder Stimme das alte Lied singt:
Der Winter ist ein rechter Mann, kernfest und auf die Dauer.
Sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an und scheut nicht süß noch sauer.
Wenn Stein und Bein von Frost zerbricht und Teich und Seen krachen,
das klingt ihm gut, das haßt er nicht, dann will er tot sich lachen.
Der olle Song von Matthias Claudius (1740–1815) ist ursprünglich betitelt mit „Ein Lied hinterm Ofen zu singen“. Klingt direkt klandestin! Jedenfalls: Dieser rechte Mann steht vor der Tür – falls er nicht schon über die Schwelle ist.
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19. 12. 17 – Mal zu einem ganz ganz anderem Lied. Das eigene Töchterchen sollte im Teamwork für den Sportunterricht mit Freundinnen eine Choreographie entwerfen.
Jugenderinnerungen kommen auf! Das mußten wir damals auch. Wir hatten uns für „Fade to Grey“ entschieden. Der (größtenteils französische Text) war uns damals egal. Es war, sag ich heute, eine ganz gute Wahl. Wir waren irgendwie existentialistisch gestimmt.
Meine Tochter ist relativ wenig up-to-date, was aktuelle Musik betrifft. Ihre gymnasialen Kolleginnen Faith, Taylor und Lisa trafen die Auswahl. Ein Liedchen namens „Swalla“ sollte es sein.
Die Vorgabe des Lehrers lautete: Die Choreographie solle Szenen aus „Alltag und Haushalt“ beinhalten. Die Tochter turnte es vor. Toll. Halbspagat, kurzer Kopfstand, daneben Bewegungen, die „telefonieren“, „bügeln“ und „schlafen“ bedeuten sollten. Sehr artig, sehr schön. Ich lobe sie.
Die Tochter hatte vorab gesagt, in Vorahnung: „Ja, ich weiß. Aber, Mama, du kannst beruhigt sein. Popwackeln und so was kommt nicht vor.“
Na gut. Und dennoch: Trau, schau, wem! Also habe ich dieses „Swalla“- Video des dunkelhäutigen „Künstlers“ Jason Derulo aufgerufen.
Ich war beinahe die einmilliardeste Kundin, die diese – Kunst? Diesen Softporno? Zeitvertreib? – sehen wollte. Irgendwie hab ich‘s geahnt: Swalla = swallow = schlucken = bestimmte Körperflüssigkeiten schlucken.
Alle deine Mädchen sind hier, wenn du durstig bist
Dann komm und nimm einen Schluck,
weil du weißt was ich serviere.
Nee, danke, sage ich stellvertretend für „mein Mädchen.“ Ihr habe ich gesagt, daß ich das Lied, den Text und das Video vollkommen bekloppt und entwürdigend fände. (Sie war peinlich berührt. Ich hingegen scheiterte an der Vorstellung, daß ein solches Video hautfarbenverkehrt zu unkritisierter Popularität käme.)
Dem Sportlehrer hab ich am Telephon beschieden, daß er dringend Einhalt gebieten müsse. (Sofortiges Einverständnis: „Klar, Sexismus geht gar nicht.“)
Jetzt tanzen die jungen Damen zu einem anderen Lied, “I‘m a albatroz”. Auf der Schwachsinnigkeitsskala und betreffs der Klickzahlen steht es fast gleichauf mit „Swalla“. Immerhin ist von Körperflüssigkeiten keine Rede.
Seltsame Zeiten. Ich guck mir gerade nochmal „Swalla“ an. Die Damen dort sagen doch – nein, nicht insgeheim, sondern sehr offensiv -: „Me too, oh please“, oder? Augenscheinlich zwingt sie keiner dazu.
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20. 12. 17 – Entfernter Bekannter, leicht genervt: „Gut, ihr kommt also heute abend. Das ist in Ordnung. Ihr müßt nur wissen, daß ihr, rein als Personen, halt eine Art Rotes Tuch darstellt. Diesen Leuten dort geht es um diese Aufführung, um Kultur, und um sonst nichts. Die haben überhaupt keinen Bock auf Politik und Spaltung.“
Wir sind dennoch da. Wir haben auch keinen Bock auf Politik, heute. Wir genießen die Darbietung. In der Pause und beim Verlassen des Saals: Viermal Schulterklopfen unbekannterseits, völlig unversehens.
Ich: „Ohje, aber der dort! Der guckt, als würde er uns vor die Füße kotzen wollen.“
Der kommt kurz vor dem Auto auf uns zu. „ Was ich noch sagen wollte: Ich habe großen Respekt vor Ihnen. Ich bin ja links. Aber Sie haben Mut.“ Advent!
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Monika L.
Der Winter ist ein rechter Mann
das ist lustig....Genauso lustig ist der Geflüchtetensong:
"Wem Gott will linke Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt "
So, jetzt warte ich auf das Bücherpaket aus Schnellroda, das heute kommen soll:
Advent